Direkt oder indirekt ist die Heimat unter verschiedenen Aspekten das Schwerpunktthema dieses Bandes. David Duong aus Haselünne, ein vietnamesischstämmiger Emsländer, beschäftigt sich vor dem Hintergrund seiner eigenen Familiengeschichte dezidiert mit diesem Thema. Er fragt sich am Beispiel Haren, das nach Kriegsende von den Bewohner geräumt werden musste und als polnische Stadt Maczków neu erstand, was Heimat für die dort lebenden Polen wie für die ausgesiedelten Harener in dieser Situation bedeutete.

Ein wesentliches Merkmal von Heimat ist die Muttersprache. Mit einem Vorkämpfer des Niederdeutschen, den Nordhorner Sprachwissenschaftler Dr. Arnold Rakers, beschäftigt sich seine Biographie von Helmut Lensing. Rakers fungierte nach dem Zweiten Weltkrieg als intellektueller Kopf einer Bewegung zum Zusammenschluss aller Niederdeutschsprechenden.

Der Niederländer Chris Canter stellt sodann in einem umfangreichen Beitrag diese in Deutschland weitgehend vergessene „Nedersaksische Bewegung“ vor. Insbesondere in den 1950er-Jahre war sie in den östlichen Niederlanden sehr aktiv, um grenzüberschreitend die Freunde des Niederdeutschen zu sammeln und eine eigene Schreibweise und ein Zusammengehörigkeitsgefühl aller Niederdeutschsprechenden zu entwickeln. Ziel von gut besuchten internationalen Konferenzen war es, das Nedersaksische, also die niederdeutsche Sprache in allen ihren Varianten, zu einer anerkannten Standartsprache zu machen, wie es seinerzeit die niederländischen Friesen schon erreichten.

Neben Arnold Rakers engagierten sich hier auch Plattdeutsch-Aktivisten aus dem Raum Emsland/Grafschaft Bentheim. Dazu gehörten etwa die Grafschafter Arno Piechorowski, Schriftführer des Schrieverkrings an Ems en Vechte, dessen Nachlass Canter umfassend auswertet, Karl Sauvagerd, Karl Naber, Lucie Rakers oder Willy Friedrich. Dazu kamen Emsländer wie Christa Brinkers, Maria Mönch-Tegeder, Josef Hugenberg oder Bernhard Uphus. Auch einige Münsterländer und Ostfriesen arbeiteten in der Nedersaksisch-Bewegung mit. Aufstieg und Niedergang dieser Bewegung sowie die vielen aus dieser Bewegung hervorgegangenen nedersaksischen Zeitschriften werden erläutert und lassen eine Zeit lebendig werden, als es noch möglich schien, das Plattdeutsche als allgemeine Kultursprache zu etablieren und dessen Niedergang aufzuhalten.

Wie in unserer Heimat die Menschen früher lebten und arbeiteten, das möchte das aus dem Dornröschenschlaf erwachte Freilicht- und Heimatmuseum Haselünne den Besuchern zeigen. Die erste hauptamtliche Leiterin Katja Kuhlmann stellt die Geschichte dieses noch wenig bekannten Museums und dessen neuen Aktivitäten sowie die Highlights der Anlage mit vielen Bildern vor.

Auch die regionale NS-Zeit wird erneut thematisiert. In seiner Geschichte der Zentrumspartei in der Provinz Hannover während der Weimarer Republik rekonstruiert Helmut Lensing, wie 1933 die neue NS-Regierung die Zentrumspresse durch Schikanen und temporäre Verbote bald zum Schweigen brachte und wie die Partei zwischen Opposition und Überlebenswillen schwankte, bis sie schließlich als letzte legale Partei neben der NSDAP zur Auflösung gezwungen wurde.

Manfred Fickers schildert beispielhaft am Fall von Meppen, wie in der Region in der NS-Zeit mit jüdischen Friedhöfen umgegangen wurde. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf Schändungen des Friedhofs während des „Dritten Reichs“, sondern untersucht auch, wie die Stadt Meppen mit diesem „ungeliebten Erbe“ in der Nachkriegszeit umging.

Die Rubrik „Regionale Wirtschaftsgeschichte“ schließt hier an. Als bekannter Eisenbahnexperte beschäftigt sich Ralf Tyborczyk mit dem Leben und Wirken von Karl Friedrich Oppermann. Der umtriebige Direktor der Bentheimer Eisenbahn, der Zeit seines Lebens auf Reichs- und Bundesebene als Interessenvertreter der Privatbahnen agierte, übernahm 1923 ein desolates Unternehmen, das er zu Blüte führte. Ein Großteil des Beitrags befasst sich mit dem Wirken Oppermanns und seines Unternehmens während der NS-Zeit.

Der ehemalige Leiter des Lingener Straßenbauamts, Franz Josef Buchholz, erinnert sich als leitender Verkehrsplaner der Region, wie in der Endphase des Emslandplans und im Anschluss daran das mittlere Emsland mit überregionalen Straßenanschlüssen von den Niederlanden über Meppen nach Haselünne sowie mit der Autobahn verkehrlich erschlossen wurde.

Heinz Spiekermann-Coppenrath informiert anhand von alten Akten aus dem Nachlass ein Pfarrers, der in Engden und Salzbergen amtierte, über die Rekatholisierungsbestrebungen der Bischöfe von Münster im Niederstift Münster im 17. und am Anfang des 18. Jahrhunderts.

Ein optisches Highlight ist wieder die Rubrik „Natur und Umwelt“. Der bekannte Naturschützer und Tierfotograf Dr. Andreas Schüring liefert mit vielen beeindruckenden Bildern eine Verhaltensstudie über den Turmfalken, den er im Werlter Kirchturm angesiedelt und beobachtet hat. Ein Beitrag von Helmut Lensing widmet sich dem „Kolibri unter den Schmetterlingen“, dem Taubenschwänzchen, das infolge der Klimaerwärmung in unseren Breitengraden immer häufiger zu sehen ist.

Leider fehlt auch in diesem Band nicht ein Nachruf. Christof Haverkamp und Josef Grave erinnern an Heinz Kleene aus Meppen, der jahrelang im Vorstand der Studiengesellschaft tätig war und sich zudem im Redaktionsteam unserer Reihe „Emsländische Geschichte“ engagierte.

Zudem finden sich im Band plattdeutsche Gedichte von Carl van der Linde, Karl Sauvagerd und Bernhard Heller (Hellerbernd).

 

Studiengesellschaft für Emsländische Regionalgeschichte (Hrsg.),

Emsländische Geschichte 31,

Meppen 2024, ISBN 978-3-9821831-8-3, 512 Seiten,

25,00 Euro (zzgl. Versandkosten).

 

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